Für die Publikation, die im Rahmen der Biennale und im Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König vertrieben wird, konzipierten Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl ein Hochglanzmagazin mit dem Titel Softmachine. Das Format des Magazins, das sich unterschiedlicher Retrostile aus der Geschichte der Grafik
bedient, bietet die Möglichkeit, die vielschichtigen künstlerischen Zugänge zu kontextualisieren und gleichzeitig Designer*innen, Theoretiker*innen, Sponsor*innen und Produktionspartner*innen ins Boot zu holen. Neben Textbeiträgen geben Interviews zu aktuellen Diskursen und Fotostrecken Einblick in die ebenso schillernden wie tiefgründigen Gedankenräume von Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl und ihrer Inspirationen.
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DIE BEITRÄGE
Die theoretischen und räumlich-künstlerischen Bezüge im Inneren der Soft Machine werden in einem einführenden Text der Kunsthistorikerin SUSANNE NEUBURGER herausgearbeitet. Sie bezieht sich darin auch auf die Architektur des Pavillons: „Die Anlage des Pavillons gibt Symmetrie, wenn nicht Spiegelbildlichkeit vor. Diese wird in den beiden Nebenräumen und dann eine Rolle spielen, wenn sich das Duo in Posen oder Accessoires immer wieder aufeinander bezieht und genauso wieder trennt, wie auch die Haupträume geteilt sind: Knebl rechts, Scheirl links.“
Meine Kunst ist ,trans‘: Transgender, Transgenre, Transmedium“, sagt Ashley Hans Scheirl. „Die Malerei ist im Zentrum, zugleich geht es um die Dynamiken zwischen den Medien.“ Kunst ist für Scheirl ein Mittel zur Veränderung. „Es geht um Identitätssuche und das Basteln an sich selbst.“ Wie sich Scheirls Installation als „eine Allegorie einer obszönen Libido“ lesen lässt, „deren Imaginäres sich in ein Instrument der Kritik an politischer und ökonomischer Obszönität verwandelt“, davon handelt der Text des Kunstkritikers GUILHERME PIRES MATA.
Wie ein Verwandlungszauber, der hilft, zu einem objektfetischistischen Kern unserer spätkapitalistischen Kultur vorzustoßen, wirken etwa jene Fotografien Knebls, auf denen sich die Künstlerin in ein lebendes Chesterfield-Möbel oder eine Mondrian-Leinwand zu verwandeln scheint. Das Bild von Möbeln, die zur Gestalt werden, war auch die radikale Grundidee der legendären, von Fluchtgeschichten und Migration inspirierten Afterwords-Kleiderserie (2000) von HUSSEIN CHALAYAN, die wohl zu den berühmtesten Modellen des britischen Couturiers und Künstlers türkisch-zyprischer Herkunft wurde. Chalayan hatte Möbelbezüge entworfen, die sich in Kleider verwandelten, und Möbel, die sich in Koffer verwandeln ließen. „Denn ich sehe Kleidung, Körper und Mode auf die gleiche Weise, wie ein Künstler sein Medium betrachtet“, äußert Chalayan im Interview mit MONICA TITTON im Magazin.
Mit der Soft Machine beschwören Scheirl und Knebl punktuell die Ästhetik, ja den demokratisch-freiheitlichen Geist der 1970er-Jahre, jener Dekade, deren emanzipatorisch-kulturelles Erbe heute eine neue Wertschätzung erfährt. Exemplarisch für die Referenz ihrer Ideen an die 1970er-Jahre mag hier das von Knebl in ihrer Arbeit zitierte 1977 eröffnete Pariser Centre Pompidou stehen, dessen technische Funktionen auf revolutionäre Weise vom Inneren des Baukörpers nach außen gekehrt und weithin sichtbar sind. „Knebl zitiert das berühmte Bauwerk mit dem dreifachen Rohr“, so schreibt THOMAS D. TRUMMER, Direktor des Kunsthauses Bregenz und Kurator der dortigen Ausstellung mit den beiden Künstler*innen im Jahr 2020/21, in seinem Text, „aber auch das Innenraumdesign dieser Aufbruchsjahre, die intensiven Farben und ungewöhnlichen Kontraste, psychedelische Wirkungen und den Horror Vacui des Pop.“
Die Vergangenheit dient Knebl und Scheirl als Instrument, um auf die Gegenwart zu zielen. Die Soft Machine, so sieht es die Autorin und Kuratorin ATTILIA FATTORI FRANCHINI in ihrem Beitrag, hat „die Erfahrung der Gegenkultur als einen inspirierenden Moment des Protests, der Befreiung und der massenhaften Verbreitung radikaler Ideen“ wie ein Programm auf der Festplatte gespeichert. Heute stellt sich die Frage nach Emanzipation durch Kunst, Gesellschaft und Subversion freilich wieder ganz anders. „Wir brauchen utopische Orte, an denen wir uns sicher(er), gesehen und glücklich fühlen“, schreibt Lisa Holzinger von Sisters, dem Wiener queer-feministischen Kunst- und Kulturverein, die neben Tony Renaissance, Enesi M. und Voiler das Softmachine Questionnaire von MARKUS PIRES MATA ausgefüllt hat.
Indem die Soft Machine ihren künstlerischen Quelltext offenlegt, lädt sie auch zur Teilhabe ein. Denn „das Wissen um diese künstlerischen Codes, das Wissen um das Alphabet der Kunst“, so schreibt GERALD BAST, Rektor der Universität für angewandte Kunst Wien, an der Jakob Lena Knebl als Professorin lehrt, in seinem Beitrag, „ist im sogenannten digitalen Zeitalter mindestens so wichtig wie das Wissen um die Funktion von Codes, die zur Produktion von Algorithmen eingesetzt werden, weil nur das Wissen um die Existenz und die Funktion solcher Codes die gesellschaftliche Teilhabe zulässt“. Die Ironie, der Humor und das ernsthafte Spiel in der Kunst von Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl halten die Soft Maschine auf Kurs. Sie wirken wie eine große Klammer, um zunächst unvereinbar erscheinende Dinge in einer Ästhetik der Widersprüche auf ebenso einladende wie überraschende Weise zusammenzubringen.
Der im Magazin ebenfalls abgedruckte E-Mail-Austausch mit der Religionshistorikerin und „Hobbyblumengärtnerin mit Gestaltungsdrang & revolutionärem Eifer“ BARBARA URBANIC handelt von der politischen Dimension des Gärtnerns. In Zeiten des Klimawandels werden Gärten zu revolutionären Parzellen – eine große Inspiration für die Künstler*innen. Eine weitere formale Inspirationsquelle: die Camouflage. Als Spezialfall flottierender Muster in Industrie, Militär, Mode und Aktivismus spürt DANIEL KALT, Autor und Redakteur der Tageszeitung Die Presse, in seinem Beitrag nach.
Die Publikation, die eine Mischung aus Hochglanz- und Gegenkultur-Magazin darstellt, fungiert als Erweiterung des Pavillons. „Es war uns wichtig“, so Jakob Lena Knebl und Ashley Hans Scheirl, „mit einem Format zu arbeiten, das es uns ermöglicht, andere Stimmen, unser weiteres Umfeld und unsere aktuellen Interessen einzubeziehen.“
MEDIENDATEN
Herausgeber*innen: Jakob Lena Knebl, Ashley Hans Scheirl und Karola Kraus
Verlag und Vertrieb: Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Cologne
Art director: Alexander Nussbaumer
Seitenzahl: 208
Format: 20 × 27 cm
Bindung: Softcover
Illustrationen: 117
Sprache: Englisch
Auflage: 5.000
Erscheint im Rahmen der Biennale Arte 2022
Verkaufspreis: € 10
ISBN: 978-3-7533-0124-2
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